Interview mit unserem ersten Online-Kursteilnehmer, Jan Thomas Otte
Was macht eigentlich........
...... unser erster Kursteilnehmer, Jan Thomas Otte?
Im folgenden lesen Sie ein Interview mit dem Theologen und Journalisten Jan Thomas Otte, dem ersten Teilnehmer im Zertifikatskurs “BWL für Geisteswissenschaftler”, der als Fernstudium in Zusammenarbeit mit der Universität Augsburg im Sommer 2007 gestartet wurde. Mittlerweile verzeichnete das innovative eLearning-Portal mehrere hundert Kursteilnehmer, die nach erfolgreichem Abschluß ein Universitätszertifikat erwerden können.
Das Interview führte Prof. Dr. Gabriele Schäfer, die an der Hochschule Heilbronn Betriebswirtschaftslehre und Rechnungswesen lehrt und als Ideengeberin und wissenschaftlicher Beirat von BEGA Tools & Training fungiert.
GS: Herr Otte, Sie sind ja eigentlich Theologe und Journalist. wie kamen Sie darauf, sich für Betriebswirtschaftslehre zu interessieren? Was war Ihre Motivation?
JO: Pauken von Hebräisch, Griechisch und Latein. Das stand am Beginn meines Studiums an der Universität Heidelberg. Nach dem Lernen dieser Ursprachen, Exegese und der Dogmatik dahinter, suchte ich ein Gegengewicht zum „numinosum et fascinosum“ im weiten Spektrum der Theologie. An der BWL faszinierten mich das geradlinigere Curriculum, die Einfachheit mancher Management-Modelle, ob Kostenrechnung oder Strategieplanung: Ich nutze die BWL seitdem als Werkzeugkasten, Know-How für die Selbständigkeit zwischen Gott und der Welt, auf Mikro- und Makroebene. Nicht nur Jesus und seine Jünger waren ausgebildete Handwerker. Auch Paulus arbeitete neben seinem geistlichen Beruf in einem weltlichen „Brot-und-Butter“-Job. Interview von mir zum Thema Christliches Management, (http://www.xecutives.net/index.php?option=com_content&task=view&id=258&Itemid=80).
GS: Sie haben sich Ihr betriebswirtschaftliches Wissen über mehrere Wege erarbeitet. Können Sie dazu etwas erzählen?
JO: Neben dem BWL-Fernstudium besuchte ich mehrere Workshops und nahm an Wettbewerben teil. Ich wollte nach dem großen Überblick das Gelernte in der Praxis umsetzen, spezifischere Case-Studies „knacken“. Dazu besuchte ich zuerst (aber nicht zuletzt) die großen Unternehmensberatungen in Strategie-Fragen. McKinsey & Company mit „Passion Wanted“ war meine erste Station. In einem interdisziplinären Team erhöhten wir die Profitabilität eines Weingutes, ohne wie oft üblich nur die Personalkosten zu senken. Bei der „CEO-Challenge“ von Booz & Company ging es darum, sich im Wettbewerb um Autos gegenüber der weltweitenKonkurrenz zu behaupten. Für mich kam eine weitere Herausforderung hinzu: Ich war der einzige Geisteswissenschaftler, erwirtschaftete aber mit meinem Team (trotz mancher Vorurteile) den größten Marktanteil und erhöhten so unsere Einnahmen. Beim deutschlandweiten „Strickmuster-Contest“ von A.T. Kearney gründete ich meine eigene Firma und schaffte es mit zwei Journalisten-Kollegen in die nächste Runde, siehe den Bericht in der Süddeutschen Zeitung (http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/296/476804/text/). Symposien zum aktuellen Thema der Wirtschaftskrise besuchte ich an diversen Business-Schools: Studis aus aller Welt traf ich in St. Gallen („Globaler Kapitalismus und lokale Werte“) – Bericht zur Veranstaltung (http://www.e-fellows.net/show/detail.php/15176) , in Deutschland an der Zeppelin University am Bodensee („Corporate Citizenship and Strategy“) oder der European Business School in Oestrich-Winkel („Rethink Capitalism“) - Bericht zur Veranstaltung (http://karriereplanung.suite101.de/article.cfm/stuhlbeinsaegen_sozialpunkte_strategieberatung). In Princeton, Harvard und Yale besuchte ich sogenannte Think-Tanks an den Management-Schulen, um abseits von selbstgemachten Glanz und Glamour über den eigentlichen Sinn des Wirtschaftens nachzudenken. Dazu eine Reportage von mir (http://www.manager-magazin.de/geld/artikel/0,2828,611556,00.html). Doch unabhängig von Ort und Organisation: Zwei Drittel waren meist Betriebswirte, das andere Drittel Naturwissenschaftler. Entgegen mancher Marketing-Slogans sollten Geisteswissenschaftler hier viel präsenter sein, auch in den Abteilungen Personalentwicklung bzw. Human Ressource, oder Öffentlichkeitsarbeit bzw. Public Relations.
GS: Als Geisteswissenschaftler ist man selbstständiges Arbeiten ja gewöhnt. Wie war es, sich völlig eigenständig im Fernstudium mit BWL zu befassen? Hintergrund der Frage ist der BEGA-Kurs Betriebswirtschaftslehre für Geisteswissenschaftler, der im Selbststudium absolviert wird. Funktioniert das, ohne größere Vorkenntnisse sich solchen Stoff unabhängig anzeigen?
JO: Das geflügelte Wort „Wo ein Wille, da auch ein Weg“ gilt zwar längst nicht immer, aber manchmal eben doch. Wenn mich das Thema wirklich interessiert, ich nicht nur „irgendetwas mit Medien machen“ oder mal „irgendwann Manager werden“ will, dann geht das auch am eigenen Schreibtisch, ohne im Klassenraum zu sitzen. Selbstmotivation und die Leidenschaft, seine Berufung als junger Mensch in diesem Leben zu suchen, ist für mich zuletzt (und zuerst) eine Glaubensfrage, siehe meine Hamsterrad-Kolumne (http://www.perspektive-mittelstand.de/Handeln-statt-beklagen-Nichts-ist-so-bestaendig-wie-der-Wandel/management-wissen/3037.html). Ökonomisch spricht man ja vom Finden der eigenen Nische, der Unique Selling Proposition, etwas besser als die Konkurrenz zu tun. Ich spreche aber lieber vom Dienstleisten, dem Erfüllen einer Bedarfsdeckung am Markt. Auch das Finden weiterer Standbeine kann glücklich machen, wenn man anderen Menschen etwas Gutes tut, siehe meine Reportage dazu (http://www.business-wissen.de/personalmanagement/chancen-nutzen-karriere-gute-laune-life-life-balance). Kurzum: Wenn ich weiß, wofür ich mir Ihre Powerpoint-Präsentationen und Klausuren reinziehe, bin ich motiviert und diszipliniert genug, um später noch eine 1 vor dem Komma auf dem Zeugnis zu haben.
GS: Nach Ihrem „Hineinschnuppern“ in die Betriebswirtschaftslehre gingen Sie an eine der renommiertesten Universitäten (Princeton). In den USA haben Sie an der Seite von Wirtschaftsnobelpreisträgern Ihre Wirtschaftskenntnisse vertieft. Kamen Sie sich als Geisteswissenschaftler dort nicht als Exot vor?
JO: Zugegeben habe ich mich bei den zuvor erwähnten Veranstaltungen hierzulande als Exot gefühlt. Theologie- oder BWL-Professoren wie Kommilitonen reagieren interessiert, Personaler schütteln manchmal den Kopf. Ich finde das aber äußerst reizvoll, in Schubladen hinein gequetscht statt passgenau reingetan zu werden. Manchmal sei es aber auch stressig, einen vorgefertigten oder „geklonten“ Lebenslauf zu haben, wie mir eine Recruiterin neulich sagte. In den Elite-Schulen der USA arbeiten Professoren und Studierende wesentlich enger zusammen, siehe mein Tagebuch (http://www.hobsons.ch/de/karriere/international/usa/erfahrungsbericht-teil1.html). Die ganze Atmosphäre des Forschens ist dort anders, weniger hierarchisch und viel mehr aufgeschlossen gegenüber christlichen oder kirchlichen Themen an der Schnittstelle zur BWL: Diversity Management, Ethical Leadership oder Social Responsibility.
GS: Eine ganze Weile haben sie sich mit dem Gedanken getragen, in die Wirtschaft zu gehen. Derzeit zieht es Sie wieder in die Theologie. Was fasziniert Sie an der Wirtschaft, was an der Theologie?
JO: Bedarfsdeckung und Anreizsysteme finden sich in der Theologie als auch Ökonomie. In der Anwendung sieht das natürlich etwas anders aus. Viele High Potentials fragen zuerst nach ihrer Karriere, dann nach der Reflexion des vorherrschenden Systems. Das mag man alles verstehen, begründet das doch die Boni-Philosophie im Utilitarismus oder eine Ballade von Berthold Brecht in seiner Dreigroschenoper zur essentiellen Frage, wovon der Mensch eigentlich lebt: „Erst kommt das Fressen, dann die Moral“. In der Bibel beherzige ich aber die Worte Jesu, dass der Mensch (und Manager) niemals vom Brot alleine leben kann. Manager-Seelsorge ist hier meine Stoßrichtung, siehe diese Reportage (http://www.evangelisch.de/themen/religion/die-wirtschaftskrise-fuellt-die-kirchen-der-wall-street). Andererseits brauchen wir Handwerkszeuge, um in einem Non-Profit-Unternehmen nur begrenzt auf Spenden oder Kirchensteuer angewiesen zu sein: mit dem anvertrauten Gut verantwortlich wirtschaften, Nächsten nur in notwendigen Sachzwängen auf der Tasche liegen und Fundraising für eine transparentere Mittel-Verwendung betreiben. Mit mehr als einer Milliarde Anhängern weltweit, davon allein eine Million hauptamtliche Mitarbeiter in Deutschland, könnten die großen Kirchen der internationalste Konzern unserer Geschichte sein. Da braucht es dann auch BWL-Fachwissen, ohne die eigene Theologie aus dem Auge zu verlieren, siehe eine weitere Reportage (http://www.welt.de/finanzen/article4584696/Finanzkrise-fuellt-die-Kirchen-an-der-Wall-Street.html). Der Schritt nach der BWL war für mich wieder ein Rückschritt in die Reflexion, die andere Seite zu sehen. In Krisenzeiten habe ich mich auf Wirtschaftsethik als Brücke zwischen beiden Welten spezialisiert, besonders Moral im Management und in den Medien. Bei mir ist das die Kirche als erdenkliche Festanstellung. Dann folgt die Wirtschaftsethik aus freiberuflicher Perspektive: Wissenschaft, Journalismus und Coaching.
GS: Geisteswissenschaftler und Betriebswirte zeichnen sich ja nach landläufiger Meinung nicht gerade durch großes Verständnis für einander aus. Was müsste Ihrer Meinung nach passieren, damit sich das ändert?
JO: Betrachtet man die Halbwertszeit in unserer Wissensgesellschaft, sehe ich für Karrieren von Geisteswissenschaftlern in der Wirtschaft eigentlich keine Nachteile. Selbst der CEO der Unternehmensberatung Roland Berger hat (zumindest theoretisch) erkannt, dass rechnende Philosophen in einer zunehmend unberechenbaren Wirtschaftswelt ein Vorteil sein können, siehe diesen Vortrag (http://www1.ku-eichstaett.de/WWF/ihwr/download/Sonstiges/RechnendePhilosophen2.pdf). Könnte ich die Köpfe mancher Personaler umcodieren, wäre wünschenswert, dass BWL-Studierte ebenso wie Theologen oder Politologen ihre Berufswahl erklären müssen. Immerhin haben sie alle ein Abitur vorzuweisen (12-13 Jahre) und mussten sich zwangsläufig für ein Fach in einem begrenzten Zeitraum (3-6 Jahre) entscheiden. Dann folgen rund 40 Jahre Berufsleben, also ein doppelt so großer Zeitraum. Da wünsche ich mir mehr Respekt gegenüber den unterschiedlichen Disziplinen. Und Zutrauen, dass Wirtschaften zu 80 Prozent über Menschenkenntnis funktioniert, den verbleibenden 20 Prozent aus einer Mischung von „Learning on the Job“ und behaltender Theorie aus dem Studium, sagen wir „Business Practise“. Allein das häufige Differenzieren zwischen harten und weichen Faktoren, klassischem Broterwerb (gegenüber inhaltlichen Mängeln) und abgestempeltem „Laberfach“ (gegenüber materiellen Mängeln) setzt ja einige Glaubenssätze voraus, die so noch gar nicht bewiesen sind...
GS: … zum Abschluss: was würden Sie einem Geisteswissenschaftler für einen gelungenen Berufseinstieg raten?
JO: Praktika in der Wirtschaft machen, aber nicht mehr als fünf, oder völlig unbezahlt. Zusatzqualifikationen wie Ihren BWL-Kurs machen, der durchaus mit dem nachhaltigen Wissen eines Bachelors konkurrieren kann. Für ein Jahr oder mehrere Monate ins Ausland gehen, eine Fremdsprache richtig gut beherrschen. Die marktläufigen Karriere-Magazine bieten hier viele Tipps, die das Entscheidende aber oft auslassen: sich nicht verrückt machen lassen, sich selbst treu bleiben. Viel Zeit für Freunde und Familie jenseits von „Work-Life-Balances“ einplanen, siehe mein Gespräch mit einem Headhunter (http://www.perspektive-mittelstand.de/Karriere-ohne-Reue-Lebensfreude-trotz-Leistungsdruck/management-wissen/2982.html). Diese Verhältnisbestimmung von Karriere auf Platz 3 nach Kirche und (gewünschten) Kindern, lehrt mich mein christlicher Glaube. Aber auch, was ich tue, mit vollem Einsatz und möglichst frei von Vorurteilen zu betreiben. Als Karriere ohne Reue.
GS: Herr Otte, vielen Dank für das Interview!
Homepage: www.thomasotte.de
Kolumne: www.perspektive-mittelstand.de/Jan-Thomas-Otte-Hamsterrad/kolumne/5819.html
Korrespondenten-Netzwerk: www.constart.com